Abschließen. Заключение.

Seit zwei langen Monaten bin ich zurück in Deutschland. Nichts steht still. Manchmal ist es ganz schwer in diesem permanenten Strom des Tuns und Erlebens zur Ruhe zu kommen, einzuatmen und wahrnehmend zurückzublicken auf ein so facettenreiches und besonderes Jahr ohne dabei in Sentimentalitäten und Lethargie zu verfallen. Wie vor einem Jahr in Bulgarien befinde ich mich auch hier jetzt immernoch in einem Prozess des Ankommens.
Vor gut einem Monat habe ich (nicht nur) für mich ein Resumee zu ziehen versucht und ein paar Seiten zu Papier gebracht, an Teilen möchte ich euch daran teilhaben lassen und mich damit auch bei Euch bedanken für die Begleitung und Unterstützung, die ich in vielerlei Form erfahren habe. Es gab kaum Zeiten, in denen ich mich einsam gefühlt habe sondern konnte das Jahr in einem Wissen leben, dass an mich gedacht, mir Glück gewünscht und für mich gebetet wird. Danke dafür!

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Bei Concordia hatte ich gemeinsam mit meinem Mitfreiwilligen Lukas eine Wohnung in der dritten Etage, in die wir uns jederzeit zurückziehen konnten, wenn nichts zu tun war oder es uns mal zu viel wurde. Die Wohnung ist sehr geräumig, hell und einladend. Im Laufe des Jahres haben wir ihr auch immer mehr unseren persönlichen sprichwörtlichen Anstrich geben können und so ist sie zu einem echten zu Hause geworden. Insgesamt ist das Sozialzentrum mir im Laufe des Jahres immer mehr ans Herz gewachsen. Mit wachsendem Sach- und Sprachverständnis konnte ich immer mehr Verantwortung übernehmen und Teil der Gemeinschaft werden, die bei Concordia phasenweise etwas wirklich Besonderes ist.

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Sich in die Arbeit bei Concordia einzufinden fiehl mir anfangs nicht leicht. Wenn ich unsere Kollegen, die uns menschlich sehr schnell und herzlich angenommen haben, fragte, was im haus für uns zu tun sei, kam oft die Antwort „ruh dich aus“. Hierauf fragte ich mich stets, wovon ich mich denn ausruhen sollte, da ich mich fühlte, als würde ich die ganze Zeit vollkommen sinnentleert rumsitzen. Mit der Zeit habe ich bestimmte Gebiete gefunden, in denen ich meinen Zeit- und Energieüberschuss sinnvoll einsetzen konnte. So habe ich mich unter anderem um Ordnung und Übersichtlichkeit im Medizinlager des Hauses gekümmert. Mit wachsender Sprachkenntnis wurde es auch eine meiner Lieblingstätigkeiten mich einfach mit den Jugendlichen zu unterhalten. Das habe ich das ganze Jahr über sehr genossen und hat sowohl sie als auch mich – so denke ich – menschlich ein wenig weitergebracht.

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Für mich persönlich war es – denke ich – ausgesprochen gut, nur wenig Kontakt [nach Deutschland] zu haben und selbständig nur gemeinsam mit Lukas durch das Concordia-Jahr zu gehen – mit jedem Durchbeißen und jeder Zeit des Schwebens, die zu einem solchen Jahr dazugehört. Das Zwischenseminar allerdings habe ich als einen der Knackpunkte meines Jahres erlebt von welchem an sich vieles zum besseren entwickelt hat, weil es neues Licht auf bestimmte Dinge geworfen und neue Impulse gegeben hat.
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Wir [Freiwilligen] haben für die Jugendlichen und Kinder eine ganz andere Rolle als unsere Sozialarbeiter-Kollegen und doch sind wir Teil des Personals. Auch wenn man sich an und zu mal unnütz vorkommt, merkt man in anderen Momenten als Freiwilliger doch wieder, welchen Wert man für die Gemeinschaft bei Concordia hat, da man als Mittler zwischen Personal und Klienten irgendwo zwischen beiden steht und von beiden Seiten enormes Vertrauen entgegengebracht bekommt.

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Es fällt mir ausgesprochen schwer, mich selbst und meine „Freiwilligenqualität“ nach diesem Jahr nun einzuschätzen. Manchmal denke ich noch immer, dass es ohne mich keinen großen Unterschied gegeben hätte in diesem Jahr bei Concordia, dass ich wenig verändert habe und hinter meinen Möglichkeiten zurückgeblieben bin. Im nächsten Moment denke ich dann, dass das Quatsch ist, dass ich mein Bestes gegeben habe und dass ich mit bestem Gewissen nach viel getaner Arbeit gegangen bin.

Für mich ganz persönlich war es, sofern ich das schon jetzt einschätzen kann, ein außerordentlich wertvolles Jahr, in dem ich viel geben konnte und um ein vielfaches mehr zurückbekommen habe. Ich bin mir sicher, dass das Jahr in Bulgarien mich vieles gelehrt hat und ich vom Wenigsten bereits weiß. Ich bin mit Personen und Dingen in Berührung gekommen, die mir so in meinem Dresdner Umfeld nicht begegnet wären und die mich teils beglückt und teils erschreckt haben.

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Letztlich fiel es mir sogar schwer durch Sofia zu gehen ohne den „Streetworkerblick“ umherschweifen zu lassen und permanent die Not der Menschen zu suchen, was mich dauerhaft unter Strom stehen lassen hat. Im Alltag hier in Deutschland möchte ich mir diesen Blick bewahren und versuchen dem „gesellschaftlichen Abfall“ mit Respekt und Interesse entgegenzutreten und nicht ignorant am Bettler vor der Kirche vorbeistolzieren und seine Drogensucht als bestrafenswerte Dummheit verurteilen.

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Jeder der Jugendlichen, die zu uns kam, kam nicht ohne Grund, viele von ihnen waren geistig oder sozial auf dem Stand eines fünfjährigen und doch hat jeder von ihnen eine so liebenswerte Seite, was mir in diesem Jahr oft beschämend bewusst wurde, nachdem ich sie in eine Schublade gesteckt hatte, aus der ich sie dann wieder rausnehmen musste.

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Das erste Mal in meinem Leben habe ich mich wirklich ohnmächtig gefühlt. Es gab manchmal einfach nichts zu tun und man musste die Jugendlichen ziehen lassen, ohne dass sich während ihrer Zeit bei uns für sie etwas zum Besseren verändert hätte. Ab und zu konnte ich Angesichts dieser geballten Chancenlosigkeit richtig wütend werden.

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Wenn [...] über die furchtbaren „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus Bulgarien und Rumänien die Rede ist und eine Ausländerquote vorgeschlagen wird, bekomme ich Ausschlag, weil ich weiß, warum diese Menschen nach Deutschland wollen: weil so getan wird als sei Deutschland das Paradies - und vielleicht ist es das ja sogar.

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Der Abschied in Sofia fiel mir sehr schwer, sowohl den Kollegen mit denen ich einen großen Teil meiner Freizeit verbracht habe, als auch den Jugendlichen und Kindern gegenüber. Mir ist nach wie vor nicht wirklich bewusst, dass das Jahr schon vorbei sein soll. Oftmals, wenn ich vor meinen Kollegen andeutete, dass ich echt nicht zurück nach Hause will, meinten sie, dass ich doch zu Besuch käme und es kein Abschied für immer ist. Und doch fühlt es sich komisch an, dass der Alltag in Sofia so weiterläuft wie bisher, nur für Lukas und mich so nie wieder stattfinden wird.

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