Auf den zweiten Blick

Nach zwei Wochen hier in meinem neuen Umfeld ist schon viel geschehen und allmählich kann ich sagen, hier auch seelisch angekommen zu sein und mich in Ansätzen schon ganz gut eingelebt zu haben.

Zunächst werd ich ein wenig auf meine Arbeit hier im Dom (Haus) "Sveti Konstantin" eingehen.
Wie bereits erzählt ist das Haus in drei Etagen unterteilt, auf denen verschiedene Gruppen leben (siehe letzer Blogeintrag). Meine Arbeit bezieht sich im Wesentlichen auf die Jugendlichen, also den ersten und zweiten Stock. Hier übernehme ich als Freiwillige bisher nur einige feste Aufgaben und versuche ansonsten soviel wie möglich von der Arbeit der Sozialarbeiter hier mitzubekommen um nach und nach (mit wachsenden Bulgarisch-Kenntnissen) auch mehr Aufgaben und Verantwortung übernehmen zu können. Die erwähnten festen Aufgaben sind:

  • die Betreuung des "магазин"s (Magazin - Laden). Hier können die Jugendlichen an drei Abenden der Woche Kleidung, Süßigkeiten, Hygieneartikel und ein paar Accesoires kaufen. Sie bezahlen mit точки (Punkten), die sie durch Arbeit im Haus jeden Tag verdienen können. Eine Stunde Arbeit ergibt 5 точки. Ein T-Shirt kostet zum Beispiel 13 точки. 
    Durch die Arbeit im магазин beherrsche ich inzwischen schon (fast) problemlos die bulgarischen Zahlen von 1 bis 100. :)
  • die Aufsicht über den Computerraum an weiteren drei Abenden der Woche. Hier haben die Jugendlichen die Möglichkeit aller zwei Tage für 20 Minuten kostenlos ins Internet zu gehen, sofern sie sich rechtzeitig dafür angemeldet haben.
  • die medizinische Grundversorgung der Jugendlichen zu ermöglichen. Hier im Haus gibt es ein Krankenzimmer, in dem allerlei Medizin und Verbandsmaterial gelagert wird. Bisher musste ich nur ausgesprochen kleine Probleme in diesem raum bearbeiten, aber sicherlich wird auch das mit der Zeit mehr.
    Ich habe es mir deswegen inzwischen zur Gewohnheit gemacht, mich bei langer Weile mit einem dicken Ordner (auf deutsch) über verschiedene Arten von Krankheiten, Medizin, Homöopathie, Drogen etc. zu belesen.
  • Außerdem habe ich derzeit einmal, später zweimal in der Woche Nachtschicht auf der ersten und zweiten Etage. Das heißt, dass ich mich ab um 10 darum kümmern muss, dass auf den beiden Etagen Ruhe einkehrt. Ich muss die Jugendlichen ins Bett schicken, aufschreiben, wenn jemand fehlt, das Haus abschließen und morgens die Jugendlichen wecken. Gestern habe ich die erste Nachtschicht allein erfolgreich hinter mich gebracht. Mit Sicherheit wird dieser Job im Laufe des Jahres nicht zu meiner Lieblingsaufgabe, aber machbar ist er auf jeden Fall.

Neben diesen Aufgaben versuche ich wie gesagt im Haus möglichst viel von den Abläufen mitzubekommen und über die Jugendlichen zu erfahren. Die Jugendlichen, die hier leben bzw im Nachtasyl schlafen haben vollkommen unterschiedliche Lebensgeschichten. Während die einen mehrere jahre auf der Straße gelebt haben, hatten andere bisher ein recht normales und geregeltes Leben. Viele von den Jugendlichen haben gesundheitliche Probleme physischer oder psychischer Art und so ist es teilweise ziemlich schwer, den Enzelnen einschätzen zu können und dabei nicht sofort in eine Schublade zu stecken.

 

Außerhalb der Arbeit habe ich während der letzten Woche auch so einiges unternommen und erlebt.

Inzwischen hatte ich 5 Bulgarisch-Stunden. Ich habe 3 mal pro Woche Privatunterricht gemeinsam mit Lukas. Das Lernen der Sprache macht mir inzwischen viel Spaß, auch wenn es nach wie vor nervenaufreibend ist, vieles nicht zu verstehen. Mit jedem Tag wird das allerdings besser und letztens wurde ich sogar schon dafür gelobt, wie schnell ich Bulgarisch lerne, was mich gefreut und außerdem zusätzlich motiviert hat.

Man sollte wissen, dass der Durchschnitts-Sofioter tendenziell eher nicht oder nur bruchstückhaft Englisch sprechen kann. Einerseits nervt das und lässt einen in gewisser Weise ein wenig hilflos dastehen, andererseits ist das (für mich) auch gut, schließlich will ich ja Bulgarisch lernen. Lukas und ich waren schon einige Male einkaufen, wobei zumeist ich den Part des redens übernehme und selbst das klappt (manchmal) schon ganz gut.

 

Am Wochenende waren wir zusammen mit ein paar Kollegen abends in einem Sofioter Park, haben dort einige weitere Bulgaren getroffen und uns bei ein paar Bier (gutes Bier gibt es hier!) unterhalten und über manches ein wenig diskutiert. So zum Beispiel über den Umgang mit Romas. Diesem Volk gegenüber sind die meisten Bulgaren - in meinen Augen erschreckend - feindlich eingestellt. Das kommt in vielem, was sie sagen zum Ausdruck. Ich habe versucht zu erfragen, was sie persönlich alle für ein Problem mit den "Zigeunern" haben, bin aber aus den Antworten nicht viel schlauer geworden... Ein kritisches Thema, ich werd da sicherlich noch einige Male von berichten.

 

Vorgestern war ich dann mit Lukas, Judith (einer deutschen Praktikantin hier bei Concordia, die inzwischen auch abgereist ist) und deren Schwestern im Rilagebirge wandern - ein unglaublich schöner Tag. Das lag zum einen an der atemberaubenden Landschaft, gutem Wetter und der Bewegung und frischen Luft (in Sofia sollte man die Luft nicht so nennen), zum anderen habe ich es auch sehr genossen mal hier aus dem Haus und von Arbeit wegzukommen und einen Tag Freiheit zu haben. Unten könnt ihr Bilder von diesem Ausflug sehen.

So, Ihr Lieben, das war es von mir für den Moment. Lasst es euch gut gehen und wisset, dass Dresden, meine Familie und alle lieben Freunde mir trotz allen Wohlfühlens hier ziemlich fehlen. Das ist zwar nicht das schönste aller Gefühle aber doch gut zu erleben, weil es mir zeigt, wie viel Vermissenswertes ich in meinem Leben schon gesammelt habe.

Gehabt euch wohl und До скоро (Bis bald)!

Eure Anna

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Kommentare: 2
  • #1

    Sarah (Montag, 10 September 2012 12:49)

    Es ist so schön von dir zu hören und zu lesen. Ich hoffe du genießt auch alle weitern Tage. Lass uns mal hören!

  • #2

    Toni (Donnerstag, 13 September 2012 13:42)

    Liebste Anna!
    Habe nun endlich mal Zeit gefunden, deinen Blog zu lesen!
    Und finde es spannend, dass einige Probleme überall irgendwie auftauchen...die ganze Roma-Problematik kenn ich noch aus Spanien, da habe ich direkt neben dem Roma-Viertel gewohnt...und auch ich wurde ständig angehalten, ja nie dorthin zu gehen es sei gefährlich und sowieso...können wir uns wenn du mehr über die Situation in Bulgarien weißt gerne mal drüber unterhalten! :)
    Auf jeden Fall wünsche ich dir weiterhin nur die besten (und damit meine ich nicht nur gute) Erfahrungen und freue mich dich bald mal besuchen zu können! :)
    Großer Kuss aus Dresden,
    deine Toni!