Gedanken nach 7 Monaten Bulgarien

„Ich möchte die Tage meines Hierseins versechsfachen können. Ich merke, ich bin gerade im Lernen.“         Paula Modersohn

 

Dieser Gedanke fasst mein momentanes Leben ganz gut zusammen. Es gibt so vieles, was ich in der letzten Zeit erlebt, erfahren und gelernt habe und auf das ich auf den nächsten paar Seiten eingehen wöllte. Einzig fehlen mir die Worte und das formuliererische Geschick um die Dinge, die mir im Kopf herumschwirren, für euch in Gänze darstellen zu können. Trotzdem versuche ich euch Bruchstücke näherzubringen.

Seit nahezu sieben Monaten lebe ich nun in Bulgarien - in diesem Land, das mir anfangs so fremd war und inzwischen so vertraut ist. So vertraut, dass ich in der Lage bin zu verstehen, warum Ende Februar hier viele Menschen auf die Straße gegangen sind um zu protestieren. Die Proteste, die mit Ärger über hohe Strompreise anfingen und im Rücktritt der Regierung und einem Machtvakuum endeten, waren für viele eine willkommene Gelegenheit ihrer Unzufriedenheit mit den Zuständen in Politik und Gesellschaft Bulgariens Luft zu machen. Es gibt hier scheinbar viele Gründe unzufrieden zu werden. Korruption in Politik und Wirtschaft, Armut, niedrige Gehälter, mangelnde soziale Absicherungen, Altersarmut, Arbeitslosenzahlen von um die 12 Prozent, Jugendarbeitslosigkeit von sogar rund 23 Prozent, von Arbeitslosenzahlen der Romas ganz zu schweigen. Kurz gesagt: soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die einen aus allen Ecken und Winkeln des Landes gehässig angrinst.
Wenn ich mir die Menschen meines Umfeldes hier anschaue – und nicht nur die Jugendlichen mit denen ich arbeite, sondern ebenso Kollegen und andere Menschen, denen ich in den letzten Monaten begegnet bin - fällt mir schnell auf, dass fast jeder von ihnen ganzschön zu kämpfen hat um über die Runden zu kommen. Während in Deutschland also die Diskussion um Asylrecht losgetreten wird und bestimmte Politiker sagen, „Zigeuner“ und Südosteuropäer sollte man gar nicht erst reinlassen, bleibt mir der Atem weg, denn ich kenne einige der Menschen, über deren Rechte da gesprochen wird. Im Grunde fände ich es gut, wenn ihnen allen Möglichkeiten geboten werden könnten, wie ich sie habe. Im gleichen Moment muss ich mir eingestehen, dass das utopisch ist. Ein sehr ernüchternder Gedanke.

Für viele Menschen hier ist Deutschland eine Art gelobtes Land. „Da gibt es Arbeit, da gibt es Geld, da geht es allen gut und keiner hat einen Grund unglücklich zu sein.“, so ungefähr ist die Vorstellung vieler meiner Jugendlichen von Deutschland. Manchmal versuche ich ihnen dann zu sagen, dass das so einfach nicht ist. Wenn sie dann aber fragen: „Warum nicht?“, was soll ich da sagen? Fakt ist, dass das Leben in Deutschland formal wirklich schlicht ein Einfacheres ist als hier. Wissen wir das in Deutschland eigentlich? Schätzen wir es im Alltag?

 

 

Kennengelernt habe ich an Bulgarien und seinen Menschen aber auch Seiten, die ich sehr schätze.

Der Kampf mit dem Alltag bringt neben aller Herausforderung auch Chancen mit sich. Ich habe das Gefühl, dass man hier doch noch mehr zusammen lebt als in Deutschland, dass mehr Begegnung und Gespräch stattfindet. Viel Leben findet hier auf der Straße statt. Besonders in den letzten beiden Wochen, als der Frühling begonnen hat Einzug zu nehmen, war das spürbar. Wenn ich hier in Sofia nun über den großen Basar gehe, dann habe ich inzwischen den einen oder anderen Verkäufer, der mich kennt und mir freundlich zuwinkt. Ein Banales aber doch passendes Beispiel des Umgangs der Bulgaren miteinander ist der Hang der hiesigen Menschen zum Diminutiv. Alles und jeder wird verniedlicht und verkleinert. Da wird nicht gesagt „Seid leiser!“ sondern viel mehr „Geht es ein bisschen leiserchen?“. Man wird nicht gleich mit den Worten „Ich liebe dich“ überrollt, sondern aufgebaut mit „Ich liebe dich sehr ein bisschen.“ Egal wie man heißt, der Bulgare findet innerhalb von ein paar Minuten ganz bestimmt mindestens 3 mögliche Spitznamen für dich. Mein Name wird hier mit Anka, Ani, Anuschka, Anno und einigen weiteren Formen verändert. Anfangs fand ich diese Verniedlicherei noch sehr eigenartig und habe mich stets geweigert zu reagieren, wenn ich nicht bei meinem wirklichen Namen genannt wurde. Inzwischen habe ich selber damit angefangen das Leben ein bisschen niedlicher zu sehen. Die Verniedlichungen geben der Kommunikation – so beobachte ich das - etwas Sanftes und nehmen manchmal komplizierten Gesprächen ein bisschen ihr Gewicht. Eine sehr angenehme Sache, ich brauchte nur mein Zeitchen, mich daran zu gewöhnen.

Das sind natürlich banale Beispiele, aber diese und einige weitere Dinge, die mir am Leben hier auffallen, bringen mich dazu, mich immer mehr in Bulgarien und seine Menschen zu verlieben.

Die Arbeit hier im Sveti Konstantin ist für mich dadurch, dass ich nun von mir sagen kann, Bulgarisch verstehen und sprechen zu können intensiver geworden. Ich genieße es, den Menschen hier zuzuhören und immer mehr kleine und große Klischees abzulegen. Wenn mir zum Beispiel der Jugendliche D. von seinen Problemen mit einer Droge erzähl, die auch in Deutschland ein Thema war und ist, dann weiß ich jetzt, dass es keine reine Dummheit ist, die ihn dazu bewegt hat, sich den ersten Schuss dieser Droge zu setzen. Mir gegenüber steht dann einfach ein Mensch, der schwach ist und sich dieser Schwäche bewusst. Der einen Ausweg gesucht hat und eventuell einfach an einer Kreuzung die falsche Straße gewählt hat. Bei der Arbeit in Concordia mit den „Straßenkindern“ ist man sehr nah an solchen Problematiken und erfährt Dinge aus erster Hand, die ich mir in Deutschland nichtmal vorstellen wollte und konnte.

Ein kleines, herzzerreißend schönes und niedliches Mädchen saß letztens neben mir und ich habe ein wenig mit ihr gemalt. Als ich ihr vorgeschlagen habe, doch auch ihre Eltern neben das Haus zu malen, das auf ihrem Papierchen zu sehen war, hat sie sich geweigert ihren Vater zu malen, weil er ein böser Mann sei. Ich glaube, sie hat in ihrem kurzen Leben schon Dinge gesehen und erlebt, an denen so mancher Erwachsener längst zerbrochen wäre. Es ist ein erschreckender Wahnsinn, was die kleinen Menschen, die mir hier begegnen an Lasten mit sich rumtragen müssen. Es gibt hier das eine oder andere Kind, dessen Augen in gewisser Hinsicht ein Grab für Kinderträume sind.

 

Vor Beginn meiner Arbeit hier hatte ich viele Vorstellungen und hohe Erwartungen an mich und meine Arbeit. Ein passendes Zitat Paula Modersohns dazu ist das Folgende:
„Ich sehe ein prachtvolles Jahr vor mir, voll Schaffen und Ringen, voll augenblicklicher Befriedigung und erfüllt vom Streben nach dem Vollkommenen.“

Ich dachte Dinge verändern zu können und zu müssen, hatte große Ideen und Pläne und riesengroße Erwartungen an mich selbst. Dies hat sich sehr relativiert. Auch jetzt noch strebe ich „nach dem Vollkommenen“ aber mein Blick darauf hat sich ziemlich verschoben. Vollkommen sind für mich nun die kleinen Momente, in denen ich die Zeit und Gelegenheit habe mit jemandem in Ruhe zu reden, einfach da zu sein, zuzuhören und Dinge über diese Menschen und dieses Land zu lernen.

I

mmer öfter fällt mir auf, dass es bei der Arbeit hier wichtig ist, ein emotional belastbarer Mensch zu sein, der mit den Dingen, die um ihn herum recht gut fertig wird und gedanklich ab und zu recht gut ausblenden kann, was er an Belastendem hört. Wenn ich nach einem der ereignisreicheren Concordia-Tage unsere Wohnungstür hinter mir zumache, dann versuche ich immer Concordia dabei draußen zu lassen. Das fällt manchmal nicht so leicht, wie ich es mir wünschen würde.

 

Die Tage hier fliegen nur so vor sich hin, gleiten mir wie feiner Sand durch die Finger. Mein siebter Monat in Bulgarien ist bereits Teil der Vergangenheit und nur fünf bleiben. Wenn meine Freunde oder die Jugendlichen hier anfangen darüber zu reden, dass wir ja bald wieder zurück nach Deutschland fahren, macht mich das in erster Linie traurig, denn sosehr meine Freunde, meine Familie und mein Dresden mir fehlen, kann ich mir doch nicht vorstellen, in das gewohnte Leben in Deutschland zurückzukehren. Bis dahin ist ja aber auch noch genug Zeit. Fünf Monate habe ich noch hier und der Sinn steht mir sehr danach, diese zu genießen! Denn das ist mein Leben hier momentan – ein Genuss!

Um mit den Worten Paula Modersohns diesen Rundbrief auch zu schließen und dabei alles Ungesagte und Unsagbare auch zu erklären:

Es ist eigenartig: Ich lebe so intensiv am Tage, dass ich abends, wenn ich schreibe, immer eine Reaktion verspüre, und eigentlich ist das Schönste meines Lebens viel zu fein und viel zu sensibel, als dass es sich aufschreiben ließe. Das, was ich euch schreibe, ist nur das Drum und Dran. Es ist das Gefäß, darinnen die Duft vieler köstlicher Augenblicke ruht…

 

Lasst es Euch gut gehen, meine Lieben, und passt auf Euch auf!

Ich grüße Euch von Herzen und aus Sofia

Eure Anuschka

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Kommentare: 7
  • #1

    Renate Hahn (Sonntag, 31 März 2013 17:25)

    Liebe Anuschka, Du erzaehlst so interessant und nett, dass das Lesen bei dir in mir Freude und Ruehrung weckt. Ich kann dich so verstehen, aber bleibe die Anna. LG von Renate

  • #2

    wrozka (Montag, 28 November 2016 16:43)

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  • #3

    online psychic readings uk (Dienstag, 29 November 2016 02:19)

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  • #4

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  • #5

    sextelefon (Dienstag, 29 November 2016 20:26)

    octavo

  • #6

    love spells (Donnerstag, 01 Dezember 2016 00:43)

    laktowit

  • #7

    rytuały opinie (Dienstag, 13 Dezember 2016 20:47)

    terrorists