Advent Advent, wie man ihn kennt?

Gestern war der dritte Adventssonntag 2012... Den Advent, diese schöne, gemütliche und erwartungsvolle Zeit, verbringe ich das erste Mal in meinem Leben außerhalb meines gewohnten Umfelds. Was Advent hier in Bulgarien für mich ganz persönlich bedeutet, das möchte ich euch erzählen.

 

Hier vergeht der Advent genauso schnell(-lebig?) wie in Deutschland. Die Zeit fliegt förmlich vor sich hin. Immerhin ist inzwischen schon dritter Advent und ich habe noch keinen einzigen Weihnachts-Brief an die Lieben nach Hause verschickt. Das ist verhängnisvoll, denn die letzten Briefe, die ich abgeschickt habe (vor mehr als einem Monat) sind noch nicht angekommen. Aber die Hoffnung und das Vertrauen in die bulgarische Post stirbt zuletzt...
Auch hier wird viel gebastelt und geschmückt. Im Büro, wo ich gerade sitze, hängt zum Beispiel eine furchtbar kitschige Kette aus kleinen Weihnachtsmännern mit leuchtenden Köpfen an der Decke. Was denken sich die Bulgaren nur dabei…? (Um ehrlich zu sein habe ich selbst diese Lichterkette in einem Anflug von Sarkasmus aufgehängt.) Die Jugendlichen des Hauses basteln dem Anschein nach jeden Tag 300 glitzernde Weihnachtskarten, die dann an verschiedene Freunde und Unterstützer Concordias verschickt werden. Und ich bastle einen Bascetta-Stern nach dem anderen in Momenten der Langeweile.

Es ist einigermaßen kalt draußen (zwischen -10°C und dem Gefrierpunkt), der erste Schnee und die alljährlich damit einhergehende Freude meinerseits ist inzwischen mehrere Wochen her. Es wird früh dunkel draußen und gemütliche Lichter dominieren dann das abendliche Ambiente.

Ich könnte den ganzen Tag irgendwo Sitzen, „Fleet Foxes“, „Kings of Convenience“ hören und Tee trinken. Optional auch Glühwein. Jeder erwartet Weihnachten mit anderen Gefühlen und erhofft sich etwas anderes von dieser "verzaubertsten Zeit des Jahres".

All das sind die Gemeinsamkeiten des Advents in der Heimat und Hier, die mir subjektiv auffallen.

Gerade jetzt – beim genaueren Nachdenken – sehe ich aber auch tausend Dinge, die so ganz anders sind als sonst. Überraschenderweise fällt mir zuallererst die Musik ein. Mein Leben in Dresden ist unglaublich davon geprägt musikalisch verwöhnt zu werden. Immer ist jemand da, mit dem ich singen oder dem ich bei selbigem zuhören kann. Hier, ohne verächtlich klingen zu wollen, will ich lieber nicht zuhören, wenn jemand singt. Gerade jetzt fehlt mir die gewohnte vorweihnachtliche Musikintensität. Zu Hause im Dresdner Hause Hirschmann ist vor Weihnachten jeden Abend irgendwer bei einer anderen Chorprobe oder ähnlichem. Letzte Woche haben wir ein Video hier im Haus aufgenommen. Einige Jugendliche haben „тиха нощ“ (das deutsche „Stille Nacht“) gesungen, begleitet vom Musiktherapeuten des Hauses auf dem Klavier und von mir auf der Geige. Dieses mehr lustige als „stille und heilige“ Video wird zu „бъдни вечер“ (Heilig Abend) eingespielt werden. Als ich gefragt habe, ob wir zu Heilig Abend auch selber singen werden, wurde das verneint, was mir schon einen gewissen Knoten in den Hals gewunden hat.

Die Kälte draußen und der Schnee, die ich in Deutschland um diese Zeit vermutlich nur schön und gemütlich fände, sind hier bei der Arbeit mit Obdachlosen jungen Menschen sehr viel zweigesichtiger. Die erste Etage ist momentan vollkommen ausgebucht was für alle Neuankömmlinge (also Bewerber auf ein Bett bei uns) heißt, dass sie Pech haben. An den offenen Abenden fragt jedes Mal mindestens ein Mensch nach Winterschuhen oder einer Jacke, weil es draußen zu kalt ist. Ein anderer Jugendlicher, dessen Deadline hier im Haus auf Anfang Dezember gefallen ist, fragt seitdem an jedem offenen Tag nach Möglichkeit, Heilig Abend hier zu verbringen – was wir im leider nicht ermöglichen können.

Gerade jetzt fehlen mir meine Lieben zu Hause ziemlich. Beim Plätzchenbacken letzte Woche war es ganz eigenartig Jakob nicht dabei zu haben, an den Sonntagen ist es eigenartig keine Kapellknaben singen zu hören (an Heilig Abend 16 Uhr will ich lieber gar nicht denken), nicht mit der Familie schön zu Mittag zu Essen, Mittagsschlaf zu halten und dann Spekulatius und Lebkuchen bei Kaffee und Räuchermännchen-Duft zu haben (ja, Räuchermännchen-DUFT. Soweit bin ich schon, liebe Eltern ;)). Es ist eigenartig mit den Jugendlichen des Zentrums Rodeln zu gehen und Schneeballschlachten zu machen und es ist eigenartig alleine durch Sofia zu laufen und in kleine Läden zu gehen bei deren Anblick ich mir das Strahlen einer Hand voll meiner Freunde viel zu gut vorstellen kann.

Klingt jetzt eventuell alles ein wenig bedrückt. Keine Sorge, so schlimm ist es nicht. Viel mehr sehe ich die momentane Zeit als große Chance, denn ich lerne immer mehr zu schätzen, was es an meiner Heimat alles zu vermissen gibt. Das gibt mir ein ganz anderes Bewusstsein, was ich als großes Geschenk betrachte. Weihnachten wird sicher nicht einfach dieses Jahr… aber das wusste ich von Anfang an und mit Sicherheit ist es die Erfahrung und die Tränen, die vielleicht fließen werden, wert.

 

Euch allen in der Heimat und überall wünsche ich eine wunderbare letzte Adventswoche voller Vorfreude und Besinnung und so wenig Stress wie möglich. Und dann natürlich ganz zauberhafte Weihnachten. Ich werde bald wieder von mir hören lassen.

 

Nun noch, wie gewohnt ein Fotoexkurs durch die letzten Wochen für euch, mit dem ich mich herlichst und mit besten Wünschen verabschiede.

Eure Anna

 

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Kommentare: 2
  • #1

    Ph.V.-S. (Dienstag, 18 Dezember 2012 09:54)

    Liebe Anna,

    danke für deine Eindrücke. Es ist schade, dass man dem Anschein nach hunderte oder tausende Kilometer der Heimat fern sein muss, um zu erkennen, was man eigentlich "zu Hause" hat. Das beziehe ich nicht auf dich, sondern schaue mir das Gemeckere und Gezetere hier in deutschen Landen an. Überall wird geschimpft, weil der Luxus hier nicht ausreichend erscheint.

    Vielleicht ist es ja ein Trost, aber du wirst wahrscheinlich in diesem Jahr die am reichsten Beschenkte sein. Nicht materieller Art. Denn das Geschenk, seine Familie und seine Heimat zu haben und dafür voller Dank sein zu dürfen, kann man mit keinem Geld der Welt kaufen.

    Auch wenn es nicht annähernd dasselbe ist, kannst du dir das Krippenspiel der Kapelknaben in Auszügen auf Youtube anschauen. http://www.youtube.com/watch?v=QxwQq2EP3v4&playnext=1&list=PL20AE20D2E8A08130&feature=results_main

    Vorweihnachtliche Grüße aus DD
    Ph.V.-S.

  • #2

    franzerl (Samstag, 29 Dezember 2012 11:57)

    schöne liebe anna!
    wunderschöne bilder und wunderbare worte, ich freue mich, von dir zu lesen!
    weihnachten is nu schonwieder mehr oder weniger vorbei und soo spektakulär wars gar nicht ;) das übliche programm, schön wie immer, natürlich, aber das kann man auch mal opfern für ein "neues" weihnachten ganz woanders - ich für meinen teil denke fast jedes jahr mit ein wenig fern/heimweh an mein "neues" weihnachten in rumänien zurück - tätärätätää da haben wir den sAalat! :)
    den goldenen erlenmeyerkolben haben wir dieses jahr nicht verliehen, das wird nur in vollständiger runde gemacht und der überaal war auch nicht da. also alles im grünen bereich.
    halt die ohren steif!
    liebst,
    fra